Folge 9

Klimaschutzziele 2050 – kann eine Technologie das Rennen machen?

„Aber mit dem Energiemix an sich ist es noch gar nicht mal getan, wir müssen viel viel mehr tun. Die Industrie muss einiges ändern, die muss deutlich Emissionen reduzieren.“

Herzlich Willkommen zur 9. Folge Querverlinkt – Technik über dem Tellerrand. Nach unserem letzten Podcast zum Thema Klimaschutzziel 2050 mit Martin Schichten von Kraftblock, hatten wir am Ende noch so viele Fragen offen, dass wir uns dazu entschieden haben noch eine Folge dranzuhängen. Unser Fazit bei der Frage „Technologieoffenheit oder Technologieklarheit?“, war eindeutig. Wir brauchen Technologieoffenheit vom Staat, damit möglichst schnell gute Technologien zur klimafreundlichen Energieerzeugung auf den Markt kommen. Aber, welche könnten das sein? Wie kann man Technologien vergleichen? Und welche quantitativen Indikatoren zum vergleichen gibt es? Das wollen wir nochmal mit Martin diskutieren. Klimaschutzziel 2050 – macht eine Technologie das Rennen? Super spannende Frage!

Wir wünschen euch gute Unterhaltung.

Transkription

Thomas Sinnwell: Im letzten Podcast, in dem ich bereits Dr. Martin Schichtel, CEO und Gründer von Kraftblock als Gast begrüßen durfte, sind wir der Frage nachgegangen, ob Technologieoffenheit oder Technologieklarheit besser zur Erreichung des Klimaschutzziels 2050 ist. Diese Folge wird vermutlich nicht jeder gehört haben, der jetzt zuhört. Insofern Martin, möchte ich dich bitten, stell dich doch noch mal kurz vor.

Dr. Martin Schichtel: Vielen Dank, Thomas! Und auch danke, dass ich ein zweites Mal hier sein darf. Finde ich total klasse. Ist auch ein superspannendes Thema.

Thomas Sinnwell: Und ein sehr umfassendes.

Dr. Martin Schichtel: Ein sehr umfassendes, ja, da könnt ihr noch ein paar Podcasts draus machen, definitiv. Martin Schichtel mein Name, ich bin von der Ausbildung her Chemiker, viel im Bereich Nanotechnologie gearbeitet, Materialentwicklung gearbeitet, immer wissenschaftlich interessiert gewesen. Und kam dann über verschiedene berufliche Stufen mit dem Thema Energie zusammen und bin dann am Ende mit der Gründung von Kraftblock gelandet, wo wir Energiespeicher herstellen, um der Energiewende auf die Sprünge zu helfen.

Thomas Sinnwell: Ich habe also den richtigen Gesprächspartner an Bord. Im Nachgang nach der Produktion des letzten Podcasts haben Pia und mich schon einige so Anregungen, Fragen erreicht. Das war dann letztendlich auch der Anlass zu sagen: Lass uns doch noch mal bei Martin anfragen, ob er noch bereit ist, noch für eine zweite Runde, um einfach auf einige Themen noch mal ein bisschen näher einzugehen. Und unser Fazit in der letzten Runde war ja, dass Technologieoffenheit seitens des Staates eigentlich eine prima Voraussetzung wäre, damit möglichst schnell gute Technologien zur Erreichung des Klimaschutzziels in den Markt kommen und etablieren können. Worüber wir nur indirekt gesprochen hatten, war der Aspekt, wie man denn diese unterschiedlichen Technologien überhaupt vergleichen kann und ob es da quantitative Indikatoren gibt. Jetzt bin ich ja der Fachfremde bei dem Thema in unserer Runde, aber ich konnte 4 Indikatoren jetzt mal so recherchieren. Und wäre froh, wenn du da ein bisschen Licht ins Dunkel bringst, was denn dahintersteckt. Ich lese das vielleicht jetzt einfach mal ganz schnell vor. Das war zum einen die CO2-Intensität, dann die Netto-Energiebilanz, die Energierücklaufzeit und die CO2-Vermeidungskosten. Starten würde ich ganz gern mit der CO2-Intensität: Was ist das denn?

Dr. Martin Schichtel: Bei der CO2-Intensität hast du wie bei vielen anderen Begriffen durchaus unterschiedliche Definitionen. Eine, ich nenne es mal, sehr, sehr weiche Definition ist tatsächlich mehr wirtschaftlich gesehen, nämlich dass du das CO2, das ausgestoßene CO2 auf das Bruttoinlandsprodukt bewertest, um länderspezifisch zu bewerten wie ist denn die CO2-Intensität in der Produktionskette innerhalb eines Landes. Ein weicher Faktor deswegen, weil du kannst natürlich wunderbar spielen. Wächst dein Bruttoinlandsprodukt und bleibt deine CO2-Bilanz gleich, super, hast dich verbessert, aber eigentlich nicht. Das ist zum Beispiel der Fall bei China. Also die machen viel im Bereich CO2-Einsparung, Bruttoinlandsprodukt steigt gigantisch, aber von unten wächst trotzdem CO2 nach. Also unterm Strich ein sehr, sehr weicher Faktor, kann man gut bewerten. Ein härterer Faktor wird es dann, wenn du es tatsächlich energetisch bewertest, also tatsächlich, wie viel CO2 entsteht denn in welchem Produktionsschritt, um zum Beispiel eine Erzeugungstechnologie aufzustellen, um Brennstoffe zu bewerten, Energieerzeugungstechnologien zu bewerten. Das kannst du sehr, sehr gut auch theoretisch berechnen. Wenn man Benzin verbrennt, ist für einen Chemiker relativ klar, was passiert in dem Vorgang, wie viel CO2 entsteht aus dem Brennstoff?

Thomas Sinnwell: Der Brennstoff, der Brennwert…

Dr. Martin Schichtel: Und da kannst du daraus eine CO2-Intensität bewerten.

Thomas Sinnwell: … kennst deinen Wert.

Dr. Martin Schichtel: Genau! Dann gibt’s andere Technologien, da wird es natürlich deutlich schwieriger, nämlich die, die keine Verbrennungstechnologien im klassischen Sinne mehr verwenden: PV, Windenergie, zum Teil auch Atomkraft. Da gibt’s zwar eine Art Verbrennung, aber es ist keine klassische oxidative Verbrennung. Da ist es natürlich schon wieder deutlich schwieriger zu bewerten, wie ist denn die CO2-Intensität für einen solchen Energieerzeuger.

Thomas Sinnwell: Gut! Da ist ja dann auch die Idee, einfach mal zu schauen, wie viel Energie muss denn aufgewendet werden und wie CO2-intensiv ist die zur Herstellung oder zum Bau von Kraftwerken, Herstellung von Solarpanels.

Dr. Martin Schichtel: Korrekt!

Thomas Sinnwell: Aber dann kommen wir auch ganz fließend auch schon zu den anderen Größen, weil dann muss ich mir auch überlegen, wie lange wird denn sowas genutzt, wann ist das defekt. Und dann sieht das ja schon gleich ganz anders aus. Dann könnten wir auch schon zum nächsten Punkt kommen: Nettoenergiebilanz.

Dr. Martin Schichtel: Gibt’s auch wiederum unterschiedliche Begriffe. Einen Begriff, wo sehr, sehr klar definiert ist, ist Netto- und Bruttoerzeugung von Strom von verschiedenen Erzeugern. Also PV oder Wind ist zum Beispiel brutto mehr oder weniger gleich netto. Bei einem Kohlekraftwerk ist es nicht gleich, weil du innerhalb des Kohlekraftwerks ja auch wieder Strom brauchst, um das Kraftwerk überhaupt zu betreiben. Das geht natürlich von der Bruttoerzeugung ab, bis dann ein gewisses Netto noch ins Netz reingeht. Du kannst die Nettobilanz natürlich auch wiederum auf die Produktion der Erzeugungsaggregate an sich aufrechnen oder aufsummieren, um zu sagen, ich habe hier relativ gesehen zu dem, was das Aggregat produziert, so und so viel Energie verwendet.

Thomas Sinnwell: Gut! Dann könnten wir dann zu dem aus meiner Sicht vielleicht spannendsten Wert kommen, der Energierücklaufzeit. Zumindest so, was ich da verstanden habe, ist das glaube ich eine ganz wesentliche Größe, um Technologien vergleichen zu können.

Dr. Martin Schichtel: Das kann man heute auch tatsächlich sehr, sehr gut quantifizieren, Energierücklaufzeit, ich mag lieber den Begriff energetische Amortisationszeit, weil es letztendlich den Nagel auf den Kopf trifft. Das bedeutet letztendlich, wenn du eine Solarzelle herstellst, brauchst du Energie, um diese Solarzelle herzustellen. Und die Rücklaufzeit ist die Zeit, die die Solarzelle braucht, um so viel Energie selbst zu produzieren, dass sie ihre Energie, die es zur Herstellung gebraucht hat, auf null setzt. Und dann ist es quasi ein energetischer Gewinn in der Zukunft, also wirklich nur noch energetischer Ertrag. Hat jetzt nichts mit Finanzen zu tun, sondern ist rein energetisch bezogen. Ich sagte, man kann sie sehr gut quantifizieren, ist aber doch nicht ganz so einfach, wie es sich anhört. Solarzelle ist das beste Beispiel. Da ist natürlich die Frage, welche Art Solarzelle. Ist es eine monokristalline, ist es eine polykristalline, ist es eine Dünnschicht, die haben unterschiedliche Effizienzen im System? Wo ist die Aufstellung? Ist es in Norddeutschland aufgestellt, in Finnland, ist es in Spanien aufgestellt? Welchen Winkel hat es? Das sind alles Faktoren, die einfließen müssen. Also in der Regel sagst du, PV-Anlagen beispielsweise, liegt die energetische Amortisation zwischen ein und sechs Jahren, je nachdem, wo der Standort und Winkel und so weiter und so fort. Es wird aber dann immer spannender, wenn die Technologien mehr Energie produzieren. Also Solarzelle hast du ja Kilowatt-Bereich. Wenn du jetzt in eine Windkraftanlage reingehst, dann bist du schon im Megawatt-Bereich. Und dort ist wieder das Verhältnis ganz anders. Also viele Windkraftanlagen haben ihre energetische Amortisation innerhalb von neun bis 12 Monaten erreicht, weil sie einfach viel mehr Energie für eine Anlage produzieren. Das pervertiert sich so ein bisschen, wenn du Richtung klassische Erzeugungstechnologien guckst. Ein Kohlekraftwerk beispielsweise, das hat 800 Megawatt Erzeugerleistung, macht wahnsinnig viel für das bisschen, was an Energie reingesteckt wurde, energetische Amortisation zwei bis drei Monate. Gas- und Dampfkraftwerke schon ein bisschen besser aufgestellt, die sind innerhalb weniger Tage amortisiert, energetisch gesehen. Das ist total irre.

Thomas Sinnwell: Das heißt aber auch, dass ich letztendlich, wenn ich diese Technologien miteinander vergleichen möchte, Indikatoren kombinieren muss, um da sinnvolle Aussagen treffen zu können?

Dr. Martin Schichtel: Ja.

Thomas Sinnwell: Aber bevor wir darauf zu sprechen kommen, vielleicht vorweg noch so die letzte Größe, die uns fehlt, die CO2-Vermeidungskosten. Was steckt denn da dahinter?

Dr. Martin Schichtel: CO2-Vermeidungskosten sind wiederum ein relativ komplexes Thema. Im Prinzip bewertest du damit, was kostet es mich denn, von einer Referenztechnologie, zum Beispiel Kohlekraftwerke, eine Tonne CO2 einzusparen durch eine andere Technologie oder durch ein anderes Verfahren? Das kannst du finanziell bewerten, dadurch auch dieser Kostenaspekt. Weil, wenn ich jetzt ein Kohlekraftwerk ersetzen möchte mit, sagen wir, 800 Megawatt, dann brauche ich beispielsweise 600 oder 800 Windkraftanlagen. Die müssen produziert werden und das kostet Geld. Also kann ich ausrechnen, was ist denn das Invest im Vergleich zu dem, was ich auf der anderen Seite einspare? Und was ist das an Mehr, was ich zu tragen habe, um dieses CO2 abzuschaffen? Dann gibt’s ganz, ganz unterschiedliche Ansätze, die an sich gar nicht so schwierig klingen. Also wenn man unseren Energiemix betrachtet und sagt, wenn ich jetzt Kohlekraftwerk komplett raushaben will und den Energiemix umstellen will, dann habe ich CO2-Vermeidungskosten von 30, 32 Euro pro Tonne CO2. Klingt ja eigentlich gar nicht so schlimm. Aber wenn du das jetzt auf die gesamte Energie bewertest, dann …

Thomas Sinnwell: Und jetzt kommt das Aber.

Dr. Martin Schichtel: … kommen schon ein paar Milliarden bis Billionen zusammen. Dann wird‘s spannend.

Thomas Sinnwell: Definitiv! Dann haben wir jetzt das Instrumentarium an der Hand, um diese verschiedenen Technologiebereiche vergleichen zu können. Lass uns doch mal versuchen, so ein Ranking aufzustellen. Was ich gelernt habe und das hast du eben ja auch schon angedeutet, wenn man das absolut machen will, muss man sehr genau hinschauen, Standort betrachten, Rahmenbedingungen, um das überhaupt durchführen zu können. Aber das ist ja auch, glaube ich, eigentlich nur so für das Spitzenfeld besonders relevant. Da differenzieren sich dann Sachen, und ich glaube, dann geht’s auch gerade darum, wo Kernenergie zu finden ist, wie weit vorne oder im Spitzenfeld oder nicht ganz so weit vorne. Aber spannend finde ich das auch, einfach mal relativ zueinander zu ordnen, wie sieht das denn aus? Fangen wir vielleicht mal oben an. Was ist denn jetzt unter dem Gesichtspunkt von CO2-Emissionen einfach das Spitzenfeld?

Dr. Martin Schichtel: Wenn du aktuell die Technologien betrachtest, zählen definitiv alles im Bereich Erneuerbaren drunter. Also du hast Wind, PV, ganz klassisch, die sind ganz oben anzusiedeln, auch für die Zukunft.

Thomas Sinnwell: Dann so, wenn man sich jetzt so langsam nach unten bewegt, oberes Mittelfeld, würde ich jetzt auch noch so Blockheizkraftwerke sehen. War ich immer schon ein Fan davon, fand ich immer eine tolle Geschichte. Und ich habe jetzt lesen können, dass das auch sehr dicht je nach Machart an diese Spitzengruppe heranreichen kann.

Dr. Martin Schichtel: Ja, das ist durchaus richtig. Also insbesondere, wenn die BHKWs über erneuerbare Quellen betrieben werden, sprich, Block-Schnitzel-Heizkraftwerke, Pellets, Biomasse-Anlagen und so weiter und so fort, ist es ganz, ganz weit oben anzusehen. Also das reicht schon an die Spitzengruppe sehr, sehr enge ran.

Thomas Sinnwell: Wenn wir jetzt noch ein Stückchen weiter nach unten gehen so im Mittelfeld, Gaskraftwerke, passt das?

Dr. Martin Schichtel: Gaskraftwerke auf jeden Fall. Gaskraft im Vergleich zu Kohlekraft definitiv, weil sie auch geringere, sage ich mal, Technologiekosten im Hintergrund haben und tragen sollen. Das ist auch eine der Strategien, um von Kohlekraftwerk weg zu kommen, einen Teil der Kohlekraft- gegen Gaskraftwerke oder Gasmotorenwerke zur Wärmeproduktion zu ersetzen, weil sie diese Vorteile haben.

Thomas Sinnwell: Dann am unteren Ende der Fahnenstange, und denke ich, dann ganz unten, Braunkohlekraftwerke, Steinkohle ein bisschen besser?

Dr. Martin Schichtel: Ja, Steinkohle ein bisschen besser, Braunkohle ganz unten, aber Kohlekraft, die klassischen konventionellen Energieträger ganz weit hinten.

Thomas Sinnwell: Das heißt, wenn man sich das jetzt erst mal so anschaut, sind die Ergebnisse nicht so überraschend.

Dr. Martin Schichtel: Nein, eigentlich nicht.

Thomas Sinnwell: Hätte man ja auch ohne die Indikatoren schon mal auf die Idee kommen können.

Dr. Martin Schichtel: Hätte man durchaus, wenn es denn da nicht ganz viele Abers gäbe: Aber es kostet Geld, aber ich brauche Platz, aber ich brauche Genehmigung, aber mein Kohlekraftwerk läuft normalerweise 50 Jahre, warum soll ich das jetzt schon abschalten? Aber Atomkraft, du hast es eben angesprochen, normalerweise rechnet man mit Laufzeiten von 60 Jahren. Und wenn nach 20 Jahren ein Atomkraftwerk wieder vom Netz soll, …

Thomas Sinnwell: … dann sind wir grad bei diesen politischen Rahmenbedingungen, dann werden ja Spielregeln ganz schnell geändert. Und je nachdem, welchen Indikator ich betrachte, kommt dann auch was ganz anderes raus.

Dr. Martin Schichtel: Ganz genau!

Thomas Sinnwell: Worüber wir nicht gesprochen hatten, uns aber in der ersten Runde oder in dem letzten Podcast sehr intensiv ausgetauscht hatten, Speichertechnologien. Wo sind die denn jetzt in diesem Ranking anzusiedeln?

Dr. Martin Schichtel: Gut, als Mensch Außenbereich-Speichertechnologien sage ich, ganz oben, aber tatsächlich sind sie über alle Stufen zu finden, weil Speicher tatsächlich jedes System stützen oder verbessern können. Selbst bei Kohlekraftwerken könntest du über Speichertechnologien Effizienzpunkte rauskitzeln. Selbst wenn ein Kohlekraftwerk jetzt nur um 1 % effizienter wird, heißt das ja, es produziert zwar immer noch CO2, aber schiebt mehr Energie, die ich brauche, ins Netz für unsere Wirtschaft, für unsere Privathaushalte. Selbst da können Speichertechnologien auch bei alten Erzeugungstechnologien unterstützen. Je höher ich aber in diesem Ranking komme, desto eher werde ich auch Speichertechnologien brauchen. Weil wir haben den Klassiker, es klingt zwar immer so flapsig schon fast zu sagen, naja gut, die Sonne scheint, wenn die Sonne scheint, und der Wind weht, wenn der Wind weht. Aber so ist es nun mal in unserer Natur. Das heißt, die regenerativen Erzeuger, deswegen nennt man sie auch fluktuierende Energien, sind nicht 24/7 konstant da. Um aber eine Energieversorgung zu bewerkstelligen, weil du willst abends auch um zehn noch deinen Fernseher anschalten können oder das Radio oder Licht anschalten können, da muss Strom da sein. Also muss ich schauen, dass ich möglichst viel auch puffern, um diese Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Deswegen Speichertechnologien ganz, ganz oben.

Thomas Sinnwell: Jetzt gibt’s auch ganz unterschiedliche Speichertechnologien, aber ich fand das ganz spannend, was du über euer System berichtet hast. Wie sieht‘s denn da mit den Energieerzeugungskosten aus?

Dr. Martin Schichtel: Das ist ganz spannend, auch deswegen, weil wir ein junges Unternehmen sind und einen ganz, ganz anderen Blick draufhaben als etablierte Konzerne. Die kommen zwar auch langsam auf den Dreh zu sagen, wir müssen ein Lifecycle Assessment für unser Produkt machen: Also was kostet es mich in der energetischen Erstehung? Was kostet es mich im Bereich CO2-Fußabdruck, was ich dadurch erzeuge? Was kann ich später rechnen? Was bedeutet es denn für das Recycling am Ende? Wie muss ich es recyclen und wie kann ich es recyclen? Kann ich es überhaupt recyclen? Da haben wir den Vorteil, mit einer jungen Technologie aufzuwachsen und diese Punkte bereits heute zu berücksichtigen. Wir für unseren Speicher beispielsweise, gerade wenn ich mit anderen thermischen Speichern vergleiche, sind, und das muss ich tatsächlich mit Stolz sagen, Spitzenreiter. Wenn ich jetzt eine Megawattstunde gespeicherte Energie berücksichtige, haben wir einen CO2-Fußabdruck für die Erstehung, Erstellung unserer Anlage von 180 Kilogramm.

Thomas Sinnwell: Das ist ja gigantisch.

Dr. Martin Schichtel: Die nächstgünstige Technologie liegt bei knapp 600 Kilogramm, und dann geht’s nach oben. Also das Schlimmste, was wir hatten, funktioniert super, ist keine Frage, du hast auch wahnsinnig viel Recyclingmaterial, das sind Speicher, die aus Stahl gebaut werden, allerdings vom CO2-Fußabdruck verheerend. Also von daher haben wir uns in dem Gesamtbild Nachhaltigkeit, CO2-Fußabdruck, Emissionen, breite Anwendbarkeit der Technologie richtig gut aufgestellt.

Thomas Sinnwell: Aber das sind doch eigentlich Betrachtungen, die man grundsätzlich anstellen müsste?

Dr. Martin Schichtel: Ja.

Thomas Sinnwell: Auch jetzt so beim Windrad. Ich meine, das lebt auch nicht ewig, Rotorblätter halten auch nicht ein Leben lang.

Dr. Martin Schichtel: Ganz genau!

Thomas Sinnwell: Da stellt sich auch die Frage: Was passiert denn danach mit so einem Windrad?

Dr. Martin Schichtel: Das finde ich ein superspannendes Thema und es wundert mich, dass das noch nie so wirklich breit über viele Technologien untersucht wurde, um zu sagen, das ist eine Technologie, die dich voranbringen. Aber ich muss auch daran denken, was passiert denn am Ende der Lebenszeit? Wie kriege ich denn vernünftige Recycling-Technologien aufgebaut? Aktuell bei Windrädern ist es so, dass du den Mast, der ist aus Stahl gebaut, kannst du wunderbar wiederverwerten. Der Fuß in der Regel Beton, schwieriger wieder zu verwerten. Aber beide Teile stellen einen Großteil der Gesamtmasse des Windrades. Von daher, wenn ich eine Massenbilanz aufziehen würde, super Recycling, allerdings habe ich …

Thomas Sinnwell: Aber die Rotorblätter sind doch …

Dr. Martin Schichtel: … dann die Rotorblätter.

Thomas Sinnwell: Und da gibt’s doch glaube ich auch ganz unterschiedliche Arten und die sind auch unterschiedlich zu betrachten.

Dr. Martin Schichtel: Korrekt! Du hast ganz oft diese glasfaserverstärkten Kunststoffe, die eingesetzt werden. Wenn das ein sortenreines Glasfasersystem ist, gibt es Recycling-Möglichkeiten, die ich persönlich für nicht besonders charmant halte, aber immerhin gibt es einige. Die sind noch nicht groß ausgerollt.

Thomas Sinnwell: Ist das wie Schreddern und Verbrennen?

Dr. Martin Schichtel: Schreddern und Verbrennen. Deswegen, ich bin nicht glücklich darüber, aber es gibt zumindest einen Ansatz. Hat ja auch irgendwo einen Sinn, sagen wir, wenn man das Zeugs schreddert und beispielsweise in die Zementindustrie, was eine unserer größten CO2-Emittenten weltweit ist, reinbringt, hat es ja irgendwo noch einen Nutzen, weil ich dann kein Erdgas verbrenne oder Öl oder sonst irgendwas verbrenne, sondern tatsächlich etwas, was auch mal gut und lang Strom produziert hat und CO2 vermieden hat. Okay, kann man positiv darstellen. Wenn ich das Ganze in eine Pyrolyseanlage reinstelle, um den Kunststoff langsam aufzulösen, in Kohlenstoff umzuwandeln und dann wieder silikatische Bestandteile raus zu sortieren, fängt‘s schon an bei mir mit Fragezeichen sich zu behaften, weil ich stecke da wieder wahnsinnig viel Energie rein, um gewisse Grundstoffe raus zu kriegen, die auch naturmäßig vorhanden sind. Ist schwierig. Aber wenn wir uns einfach anschauen, was passiert und wo wollen wir hin, wir werden immer mehr von diesem Material anfallen haben. Ich meine, jetzt 2020, 2021 gehen die ersten Anlagen vom Netz, die aus der EG rauslaufen, die anhand der Regulatorik jetzt auch nicht mehr erneuert werden dürfen oder der Standort sogar aufgelöst werden muss. Da versucht man sich immer noch so mit einem Trick zu behelfen, ich verkaufe halt die Anlage irgendwohin, wo es sowas noch nicht gibt, wo Erneuerbare aufgebaut werden müssen. Aber ich verlagere das Problem ja nur. Es kann nicht Sinn und Zweck der Sache sein.

Thomas Sinnwell: Örtlich und dann noch gegebenenfalls zeitlich.

Dr. Martin Schichtel: Eigentlich müsste genau jemand, der so eine Erzeugungsanlage aufbaut, am Ende auch für das Recycling verantwortlich sein, selbst wenn die noch ein Second Life hat.

Thomas Sinnwell: Jetzt haben wir ja viele Sache betrachtet und eingeordnet, auch uns das Ranking angeschaut, so die relative Zuordnung. Zwei Dinge haben wir nicht betrachtet, Wasserstofftechnologie und E-Fuels. Wie siehst du, wo sind die Dinge einzuordnen?

Dr. Martin Schichtel: Gute Frage. Also da mache ich jetzt für mich ein Fragezeichen dran. Wasserstofftechnologie, gar keine Frage, das wird weltweit ein Thema sein, was sich auch durchsetzen wird. Vielleicht nicht in allen Bereichen, wie man es sich heute verspricht, aber es wird auch sehr, sehr viele Bereiche in dem Bereich Dekarbonisierung vorantreiben. Gar keine Frage. Die Wasserstofferzeugung ist schon relativ effizient. Wie es danach weitergeht, ist das große Fragezeichen. Was mache ich mit dem Wasserstoff? Ich persönlich …

Thomas Sinnwell: Man braucht auf alle Fälle grünen Strom, …

Dr. Martin Schichtel: Klar!

Thomas Sinnwell: … damit es danach aufgeht.

Dr. Martin Schichtel: Ja, da gibt’s auch die lustigsten Farben bei der Wasserstofftechnologie. Grün ist ganz klar definiert, dann hast du Blau, du hast Grau, mittlerweile wird sogar über Lila oder Violett gesprochen. Ist lustig, aber klar, grüner Wasserstoff, mal vorausgesetzt, das schafft man, in Zukunft genug Strom zu produzieren, um grünen Wasserstoff herzustellen, dann wird das ein großes Thema sein, vor allem in der Industrie, glaube ich. Stromerzeugung bedingt, weil du müsstest ganze Netze, Erdgasnetze auf Wasserstoff umsetzen. Und das punktuell oder schrittweise zu machen, glaube ich, ist wahnsinnig schwierig. Da wird es einige Hürden geben. Wasserstoff im Bereich Transporttechnologie, ja, kann ich mir vorstellen. Wobei es da, da sind wir so im Bereich E-Fuels, auch viele Diskussionen gibt, was machbar ist. Es werden ja jetzt erste Wasserstoffflugzeuge getestet, Schiffe getestet, Züge getestet.

Thomas Sinnwell: Wie siehst du es im Pkw-Bereich?

Dr. Martin Schichtel: Tja, wie sehe ich es im Pkw-Bereich? Ich glaube, nicht. Warum glaube ich, nicht? Weil, wenn ich mir die Energieeffizienzen anschaue, ich stelle, Anführungszeichen, „teuer“ grünen Strom her, wandele den in Wasserstoff um, muss den in ein Netz reinbringen, in einen Speicher reinbringen, um anschließend wieder im Auto zu verbrennen. Wenn ich jetzt nicht in eine Brennstoffzelle reingehe, dann ist die Gesamteffizienz relativ niedrig. Dann nehme ich doch lieber meinen 100 % erneuerbaren Strom und pumpe ihn in Akkus rein und nutze 80 % dieses Stroms direkt, um auf die Straße zu kommen. Das halte ich insbesondere im Nahverkehr für sinnvoller. Ist natürlich schwierig, jetzt eine Lok oder ein Schiff oder einen großen Truck auf Batterien umzustellen, weil die müssten theoretisch so viel Batteriegewicht mit rumtransportieren, dass sie nur noch wenig Ladung mitführen könnten am Ende. Da glaube ich eher an, dass sich Wasserstoff oder auch E-Fuels durchsetzen werden.

Thomas Sinnwell: Und Wasserstoff dann auch in Richtung Brennstoffzelle?

Dr. Martin Schichtel: Wasserstoff Richtung Brennstoffzelle, da bin ich ganz gespannt auch von der Technologieseite, was passiert. Weil vor Jahrzehnten, als ich am Forschungsinstitut war, haben wir schon zum Thema Brennstoffzelle und Optimierung geforscht. Und das sind jetzt auch schon fast 30 Jahre her. Aber es hat sich scheinbar nicht so viel getan.

Thomas Sinnwell: Aber ich denke, jetzt wechseln wir vielleicht wieder das Thema, weil darüber könnte man glaube ich einen ganzen Podcast quatschen.

Dr. Martin Schichtel: Kann man auch wieder, ja.

Thomas Sinnwell: Und da wird ja auch heftig diskutiert. Jetzt haben wir über viele mehr oder weniger CO2-arme Technologien gesprochen, haben die in Beziehung zueinander gesetzt. Und ich fand es jetzt ganz spannend zu hören, dass sich ja gestern die EU auf ein Klimaschutzziel 2030 verständigt hat, was ja jetzt, je nachdem von welcher Perspektive man draufschaut, was ich durchaus als ambitioniert betrachte. Und 2030 ist ja nicht so ewig weit weg. Martin, was müsste man denn so aus deiner Sicht jetzt tun, wie müsste denn der Energiemix aussehen? Welche Technologien müssen jetzt vielleicht sogar forciert werden oder wo müssen Regulatorien aufgeweicht werden? Was muss letztendlich passieren, damit wir eine Chance haben, das hinzubekommen?

Dr. Martin Schichtel: Das ist ein ganz spannendes Ziel, Thomas, was da wieder vorgegeben wurde. Man muss natürlich jetzt mal Gas geben, um das Ziel überhaupt zu erreichen. Du hast nach dem Energiemix gefragt. Der Energiemix, die Spur ist ja eh schon vorgeben. Das heißt, wir haben Kernkraft abgeschafft, wir gehen jetzt aus der Kohle raus und alternative Energieversorgung muss her. Das heißt, wir müssen massiv Erneuerbare ausbauen, Wind und PV. Das kann im großen Maßstab erfolgen, natürlich Wind geht gar nicht anders als im großen Maßstab, aber PV beispielsweise, jeder persönlich bei sich zu Hause, der da etwas tun kann, um die Sache voran zu schieben. Es gibt ja auch diese kleinen Balkon-PV-Anlagen, die sind nett, sind überschaubar, kann jeder relativ schnell machen. Aber bei dem Energiemix an sich ist es noch gar nicht mal getan. Ich muss viel, viel mehr tun, die Industrie muss einiges ändern. Die muss deutlich Emissionen reduzieren, die müssen Produktionsverfahren umstellen, die müssen effizienter werden. Aber auch wir im Privathaushalt müssen darüber nachdenken. Einfach zum Beispiel das Standby-Knöpfchen, wie viel Strom da mittlerweile verbraucht wird, nur weil irgendwelche Geräte im Standby laufen. Also auch jeder einzelne persönlich muss sich da ändern.

Thomas Sinnwell: Das ist ja doch ein ganzer Maßnahmenkatalog, der da abgearbeitet werden muss. Sowas sollte ja auch idealerweise vielleicht synchronisiert werden. Oder kann das auch losgelöst laufen? Weil, wir hatten das letzte Mal auch darüber gesprochen, mit Subventionspolitik, mit Regulierung kann ich ja auch ganz viel verhindern. Und ich glaube, es ist ja noch nicht so klar, was jetzt wirklich die führenden Technologien sein könnten.

Dr. Martin Schichtel: Ja, das stimmt. Bisher die Umsetzungspläne basieren quasi auf alten Technologien, Technologien des letzten Jahrtausends mehr oder weniger, wenn du es so willst. Es gibt viele neue Technologien, die in den Markt kommen, die ihren Beitrag dazu leisten können. Zu der muss man sich öffnen, da drüber hatten wir ja bereits gesprochen. Aber regulatorik-mäßig muss natürlich einiges gedreht werden. Weil wenn ich Richtung Erneuerbare gehe, ich brauche Speicher, ob das jetzt Lithium-Ionen-Akkus sind oder andere Speichersysteme. Ich muss fluktuierende Energien auffangen können, weil der Wind immer nur bläst, wenn er bläst, und die Sonne nur scheint, wenn sie scheint, aber trotzdem hätte ich gerne eine Sicherheit in meiner Energieversorgung. Ich wüsste abends gerne, kann ich meinen Fernseher anschalten oder auch nicht? Das muss gesichert sein. Und dazu muss ich …

Thomas Sinnwell: Und das schreit doch nach Speichertechnologie.

Dr. Martin Schichtel: Das schreit nach Speichertechnologie, das schreit nach Ausbau der Energieerzeugung an sich. Diese Kombination ist wahnsinnig wichtig. Und auch im Hinblick auf nicht nur die deutsche Energieversorgung, sondern auf eine europäische Energieversorgung. Wir bauen ja zunehmend auf ein europäisches Netz. Das heißt, dass Deutschland auch viel Strom von extern beziehen kann. Beispiel jedes Mal, wenn es kurz vor einem Blackout war, im letzten Jahrzehnt, glaube ich, zweimal, sind glücklicherweise die Nachbarländer eingesprungen, die noch Strom beigeliefert haben, um Netzstabilität zu erzeugen. Das wird in zunehmendem Maße in Zukunft die Frage sein, wie man das gewährleisten kann.

Thomas Sinnwell: Ich denke, da gibt’s ja auch von unserer Gesellschaft, aber auch von der Industrie eine klare Erwartungshaltung nach Versorgungssicherheit. So ein Blackout, das ist ja auch nicht nur ein Wort, was vielleicht ein bisschen Angst macht, das kann ja auch wirklich sehr, sehr gravierend sein. Und da brauchen wir auch Antworten, wie wir unser Netz noch regeln können, wie wir es steuern können, wie es stabil bleibt.

Dr. Martin Schichtel: Genau! Das wird eine sehr, sehr komplexe Aufgabe werden. Glücklicherweise, wir haben eine Technologie an der Hand, die die komplette IT, die es gibt, wo du mittlerweile smarte Netze aufstellen kannst, Energieverschiebung partiell machen kannst, um das hoch zu skalieren auf die Netzebene. Aber auch das muss viel, viel breiter in den Markt kommen, um eine Umsetzung zu gewährleisten.

Thomas Sinnwell: Die Smart-Grids sprichst du ja da an.

Dr. Martin Schichtel: Genau!

Thomas Sinnwell: Was wir hier jetzt auch nur ganz kurz angesprochen hatten, Energiemix, du hattest auch gesagt, wir sind aus der Kernenergie ausgestiegen. Und das ist natürlich ein Thema, was uns kurzfristig nicht hilft, aber das ist ein Thema, über das wir auch noch mal sprechen sollten.

Dr. Martin Schichtel: Ja. Ist durchaus eine interessante Geschichte. Vor allem bei der aktuellen Technologielage.

Thomas Sinnwell: Packen wir es an und nähern uns dann jetzt noch mal dem Thema Kernkraft. Gerade im Nachgang nach unserem letzten Podcast gab's da schon ein paar Kommentare und Nachfragen, ob das jetzt so ganz ernst gemeint ist. Es ist ja auch ein sehr emotional aufgeladenes Thema. Und ich denke, es könnte helfen, wenn man da noch ein paar Informationen nachschiebt. Wir sprachen so ganz oberflächlich über Atomkraftwerke der vierten Generation. Und da denke ich, sollten wir ein bisschen eintauchen. Und starten würde ich eigentlich ganz gerne, indem wir vielleicht einfach auch noch mal auf den Brennstoff, was ja ein lustiger Begriff im Grunde genommen, der Atomkraftwerke zu sprechen kommen, auf das Uran. Es ist ja letztendlich ein Schwermetall, ein radioaktives, das Uran-238. Das ist ja das, was man in der Erdkruste finden kann. Wenn ich Uran schürfe, ist das, glaube ich, wenn ich es so im Kopf habe, 99,2 %.

Dr. Martin Schichtel: Ja, kommt hin.

Thomas Sinnwell: Und die restlichen, nein, waren es 99,3 % …

Dr. Martin Schichtel: Komma 3.

Thomas Sinnwell: … und 0,7 so war dann das Uran-235, das danach strahlt. Und das Uran-235, das brauche ich letztendlich a) jetzt für den Negativfall oder für den, naja, was heißt, für den nicht so angenehmen Fall des Atomwaffenbaus, und ich brauche es aber auch für die Kernspaltung. Ich kann ja letztendlich dann auch mit langsamen Neutronen Uran-235 spalten und eine Kettenreaktion in Gang setzen, und das funktioniert ja mit dem Uran-238 nicht.

Dr. Martin Schichtel: Richtig! Genau! Du hast im Prinzip beide Seiten der Medaillen schon angesprochen. Das Böse, ich baue eine Waffe draus, das Gute ist, ich produziere Energie damit. Das hast du aber bei allen Technologien. Da ist es vollkommen egal, wo drauf du schaust. Es ist ein extrem emotional belastetes Thema, weil natürlich, klar, Verstrahlung ist schwierig, Krebse, Geschwulstbildungen, Tod durch diese Technologie, ist wahnsinnig schwierig. Aber das ist ja auch einer der Gründe, warum sich so viele Wissenschaftler und Ingenieure in den letzten Jahrzehnten Gedanken darüber gemacht haben: Wie kann ich denn diese Technologie sicherer machen? Wie kann ich diese Technologie so gestalten, dass am Ende auch nicht so viel, ich nenne es mal, übler radioaktiver Abfall übrigbleibt, sondern tatsächlich ein Abfall erzeugt wird, der überschaubar ist, der gut händelbar ist im Vergleich zu dem, was bisher lief.

Thomas Sinnwell: Im Nachgang nach unserem Podcast habe ich mir auch mal ein bisschen die Sachen angeschaut, Recherche betrieben. Und es gibt ja jetzt einen regelrechten Zoo und eine Vielfalt an Konzepten für Atomkraftwerke der vierten Generation. Es gibt ja auch ein großes Forschungsprojekt der EU, das da erfolgreich abgeschlossen wurde. Und was ich ja total faszinierend finde, da gibt es ja auch Konzepte, die eigentlich eine Antwort liefern auf unsere Atommüll-Problematik.

Dr. Martin Schichtel: Durchaus. Die modernen Konzepte Generation 4, wie du angesprochen hast, bauen eigentlich alle darauf, bereits existierenden hochradioaktiven Müll zu nutzen und weiter umzuwandeln, weiter abzubauen, die Radioaktivität zu reduzieren und dafür Strom zu erzeugen. Das war ja auch eine der Grundprämissen, um dieses Programm Reaktorvariante 4 aufzulegen: Nachhaltigkeit, Energieersparnis, Effizienz, …

Thomas Sinnwell: Sicherheit.

Dr. Martin Schichtel: … aber auch radioaktiver Abbau, Produkte, genau, Sicherheit, standen da ganz weit im Vordergrund.

Thomas Sinnwell: Was ich jetzt mitgenommen habe bei den Konzepten, die in der Lage sind, jetzt wirklich Atommüll auch noch mal energetisch zu verwerten, dass da ein anderes Kühlmittel eingesetzt wird, nicht Kühlwasser, sondern flüssiges Natrium.

Dr. Martin Schichtel: Unter anderem. Ja.

Thomas Sinnwell: Und das ermöglicht es, dass ich a) diesen Kühleffekt habe, gleichzeitig die Neutronen aber nicht so stark abgebremst werden, und dadurch sind sie dann auch in der Lage, das Uran-238 dann zu spalten.

Dr. Martin Schichtel: Beziehungsweise die weiteren Abbauprodukte zu bilden, sodass quasi aus dem Brennstoff wieder ein Brennstoff erzeugt wird, der weiter natürlich Strahlung erzeugt, weil nur durch diesen Prozess kann ich am Ende auch Wärme erzeugen und mit dieser Wärme wiederum Strom produzieren. Aber ich baue die Radioaktivität von einer Stufe, ein Element über das nächste ab und erzeuge quasi mit jedem Prozess noch mal ein bisschen neuen Brennstoff. Und dadurch habe ich natürlich Konzepte wie …

Thomas Sinnwell: Also kriegst du ganz schnelle Brüter.

Dr. Martin Schichtel: Ja. Ich finde das Stichwort schnelle Brüter irgendwie nicht wirklich zielführend, weil mir suggeriert’s was anderes als das, was es ist. Ein schneller Brüter für mich würde bedeuten, es passiert was ganz schnell zu einem hohen Energieniveau und das kann auch gewaltig schiefgehen. Ist es aber nicht. Es ist mehr so ein eigenes Biosystem, ein eigenes Ökosystem, was sich selbst am Leben erhält.

Thomas Sinnwell: Genau! Was da jetzt einfach auch superspannend ist, oder wenn ich das mache, diese Konzepte fahre, dann habe ich ja auch die Möglichkeit, die Transurane noch mal da einzuspeisen. Und bei den Transuranen ist es ja so, das ist ja typischerweise das Plutonium, und das ist das, was am bekanntesten ist, und das braucht ja doch 300.000 Jahre bis das Strahlungsniveau abgeklungen ist bis auf das Niveau, das das natürliche Uran hat.

Dr. Martin Schichtel: Richtig!

Thomas Sinnwell: Das sind ja gigantische Zeiträume.

Dr. Martin Schichtel: Absolut!

Thomas Sinnwell: Wenn ich jetzt diese Transurane in solche Reaktoren einbringe, schaffe ich, dass ganze, ja, Spaltprodukte durch diese schnellen Neutronen zu erzeugen, die dann mit 300 Jahren auskommen, bis sie auf das Niveau abgeklungen sind, das ein natürliches Uran hat. Das ist ja Faktor 1000. Das ist ja erst mal eine ganz fantastische Sache.

Dr. Martin Schichtel: Da sind gewaltige Sprünge in der Technik gemacht worden, auch, um solche Systeme so aufzubauen, dass sie am Ende auch wirtschaftlich sind. Weil unterm Strich, es ist nicht der Umweltschutz, sondern unterm Strich zählt leider immer noch das Geld. Aber das werden wir aus unserer Welt auch nicht mehr rauskriegen. Das war ein ganz, ganz wichtiger Punkt. Und über diese Stufen, über diesen Abbau, bis ich zu dieser Grundstufe letztendlich komme, habe ich auch lange Betriebszeiten dieser Kraftwerke, Kleinkraftwerke, Großkraftwerke, je nachdem, in welchem Maß das gebaut wird. Und wenn ich mir vorstelle, dass über solche Abbaumechanismen ein Kraftwerk durchaus 100 Jahre betreibbar ist, …

Thomas Sinnwell: Das habe ich jetzt auch gelesen, bei TerraPower in Amerika.

Dr. Martin Schichtel: Ja. Zum Beispiel.

Thomas Sinnwell: Die gehen ja bis zu 150 Jahre …

Dr. Martin Schichtel: Genau!

Thomas Sinnwell: … davon aus. Und das sind ja doch gigantische Zeiträume, in denen ich wirklich CO2-arme Stromproduktion habe. Wenn ich es richtig verstanden habe, wird da noch Wasserstoff produziert. Ich habe Prozesswärme.

Dr. Martin Schichtel: Genau!

Thomas Sinnwell: Und recycle noch meinen Atommüll und mache ihn deutlich handhabbarer. So würde ich es vielleicht formulieren.

Dr. Martin Schichtel: Das ist ein wahnsinnig wichtiges Kriterium, dass ich von diesem hochradioaktiven Müll wegkomme, von dieser klassischen Endlagerthematik wegkomme in schwächer radioaktives Material. Das wird durch diese Technologien sehr, sehr gut gemacht. Durch die langen Laufzeiten, du hast TerraPower angesprochen, habe ich allerdings auch die Chance, neue Produktionstechnologien aufzubauen, außerhalb Atomkraft, außerhalb vielleicht von Windkraft. Wer weiß, was es in Zukunft Neues gibt? Kernfusion zum Beispiel ist so ein Thema, da wird dran geforscht, das frisst wahnsinnig viel Energie im Moment, aber wenn ich am Ende eine Mikrosonne erzeugen könnte und die auch noch kontrollieren könnte, lassen wir mal dahingestellt, ob das geht oder ob das nicht, dann ist das natürlich ein ganz neuer Ansatzpunkt. Aber die Zeit erkaufe ich mir mit einer Technologie, die im Betrieb keine Treibhausgase emittiert und damit zum Klimaschutz in gewissem Sinne beiträgt.

Thomas Sinnwell: Und das Abfallproblem löst. Und was ich auch noch ganz spannend finde, die Sicherheitskonzepte. Das basiert ja im Grunde genommen darauf, dass ich die Natriumschmelze ableite, dann habe ich zwar grundsätzlich eine Brandthematik, die ist aber beherrschbar, auch technologisch. Und es ist auch kein Muss zwingendermaßen, das könnte passieren, aber das wäre beherrschbar. Aber ansonsten kommt der Prozess zum Erliegen. Und Szenarien, wie wir das jetzt in Fukushima oder auch in Tschernobyl hatten, sind da erst mal nicht denkbar. Das war ja auch ein Design-Ziel: Sicherheit.

Dr. Martin Schichtel: Richtig! Das klassische Durchbrennen, Überreagieren hast du in den modernen Reaktoren offenbar nicht mehr, soweit ich die Technologie verstanden habe. Du hast Natrium angesprochen, es gibt Alternativen Blei-Wismut-Legierung, die eingesetzt werden. Du hast zum Teil Helium mit ähnlichen Effekten oder auch Druckwasserreaktoren. Kann man natürlich jetzt wiederum diskutieren, Wasserdampf bei 200 bar oder Wasser unter 200 bar Druck und Temperatur vielleicht auch nicht so ohne. Aber, also ich habe lieber eine Wasserleitung, die mir um die Ohren fliegt und vielleicht einen lokalen Schaden erzeugt, als einen Supergau, der Radioaktivität in die Umwelt setzt. Das sind ganz, ganz andere Maßstäbe als vor 50 Jahren.

Thomas Sinnwell: Ich denke, wir haben es jetzt zumindest geschafft, so viele Informationen zu liefern, dass bei diesem doch sehr emotionalen Thema die Leute vielleicht etwas offener werden, es mal in Erwägung zu ziehen. Und ich denke, technologisch gesehen hat sich da so viel getan. Und das Bild, das man im Kopf hat oder auch jetzt gerade Tschernobyl, das ist vielleicht nicht mehr so das Maß der Dinge, die man heranziehen kann zur Bewertung. Insofern glaube ich, haben wir jetzt einen ganz guten Gesamtüberblick geben können. Und was ich jetzt an der Stelle aber noch ganz spannend finde, Martin: Was würdest du denn mal gerne der Fridays for Future Bewegung mit auf den Weg geben?

Dr. Martin Schichtel: Hm! Fridays for Future ist eine klasse Bewegung. Ich finde das aus mehrerlei Hinsicht toll zunächst mal. Ich finde es klasse, dass eine Generation ein Bewusstsein für die Umwelt entwickelt, für ihre eigene Zukunft entwickelt, in einem sehr, sehr frühen Stadium drüber nachdenkt und auch tatsächlich auf die Straße geht, um zu zeigen, wir sind hier, hört uns endlich mal. Das ist unglaublich toll. Ein wahnsinnig starker Schritt. Natürlich gibt’s immer aus irgendwelchen Gründen Verbesserungspotenziale. Was ich ihnen aber gerne mitgeben würde für die Zukunft, ist, dass sie ihren Elan, ihren Drive beibehalten und nicht nur das Ganze ein halbes Jahr machen, ein Jahr machen, sondern auch vielleicht über fünf oder zehn Jahre, bis zu dem Zeitpunkt, wo sie selbst in den Beruf kommen. Weil dann kommen sie an die Stellhebel, wo sie real was auch in der Wirtschaft ändern können, real was in der Politik ändern können. Bitte nicht vorher aufhören! Sondern als Generation dort durchgehen, um wirklich Veränderungen herbeizuführen.

Thomas Sinnwell: Finde ich ein super Schluss-Statement. Das hat mir heute mal wieder, wie auch das letzte Mal schon, total viel Spaß gemacht mit dir, zu den Themen zu sprechen. Recht herzlichen Dank!

Dr. Martin Schichtel: Super! Ich war super-gerne hier und es macht wirklich Spaß über viele Thematiken zu reden. Du hast einen Punkt erwähnt, den möchte ich noch mal rausgreifen. Man muss auch Atomkraft, aber auch alle anderen Technologien relativ objektiv versuchen zu beurteilen. Ich kann da nur ein Buch empfehlen „Factfulness“. Sollte man unbedingt mal gelesen haben, um einfach mal eine Relation zu schaffen zu dem Wissen, was man denkt zu haben, zu dem, wie es ist, um das richtig einordnen zu können.

Thomas Sinnwell: Super Schluss-Statement! Besten Dank!

Dr. Martin Schichtel: Gerne, Thomas! Danke!

 

So, dass wars mal wieder von uns. Wir hoffen wir konnten euren technischen Horizont in Sachen Klimaschutz nochmal ein bissjen erweitern und euch gut unterhalten. Wie immer haben wir weiterführende Links für euch in den Shownotes und wenn ihr Lust auf mehr habt, freuen wir uns natürlich wenn ihr uns abonniert. Außerdem sind wir ab nächster Woche auch auf YouTube unterwegs. Hier gibts dann für ich auch noch mehr interessante Inhalte rund um Technik, aber auch Themen über dem Tellerrand mit spannenden Gästen uns mehr. Klickt einfach rein und folgt uns auch auf YouTube.

Die nächste Folge ist am 3. Juni am Start, wie immer am 1. Donnerstag im Monat. Dann sprechen wir mit einem Vertreter einer der größten IT-Systemhäuser in Deutschland über die wichtigsten IT-Trends und Herausforderungen für Unternehmen in den nächsten Jahren. Reinhören lohnt sich - wir freuen uns auf euch!

 

 

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